Alleinerziehende Mütter und wie wir helfen

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Alejandra Ganan (33) ist alleinerziehende Mutter der Presencia-Begünstigten Sarai (8) und Ximena (15). Mit der Betreuung der beiden Töchter kann der Teufelskreis Armut, der sich in jeder Generation der Familie wiederholt, erstmals durchbrochen werden.

Alejandra ist 15 und geht noch zur Schule, als sie die beiden Kinder von Monica bei sich aufnimmt. Die entfernte Cousine, in der Nachbarschaft aufgewachsen, hatte Alejandra darum gebeten, damit sie arbeiten gehen kann, um den Unterhalt für die Familie zu verdienen.

«Monica hatte es schwer. Ihr erstes Kind war zur Welt gekommen, als sie 14 war. Ihr Mann, 20 Jahre älter, war gewalttätig. Und sowohl Monica wie auch er waren abhängig von Marihuana und Alkohol. Ich liebte ihre Kinder und wollte Monica helfen, ihr Leben zu verbessern. Jaider war 3 Jahre, Ximena 18 Monate alt. Dass ich sie allein erziehen würde, war nicht geplant. Aber – seit dem Tag, da mir Monica die Kleinen überlassen hat, habe ich nie wieder etwas von ihr gehört. Niemand weiss, wo sie lebt. Und weder sie noch der Vater haben je zum Unterhalt ihrer Kinder beigetragen.»

Alejandra und Sarai stehen gemeinsam bei zwei grossen Plastik-Müllsäcken und sortieren verschiedene Abfälle ein. Alejandra hält einen roten Tonnendeckel und Sarai eine grosse Plastikdose. Im Hintergrund sind weitere Müllsäcke zu sehen.
Alejandra und Sarai trennen Müll. Foto: Stiftung Presencia

Um Jaider und Ximena durchzubringen, muss Alejandra Geld verdienen. Während der Arbeitszeit und wenn sie in der Schule ist, kümmert sich ihre Mutter um die Kleinen. Alejandra wohnt mit ihren Eltern, ihrem älteren Bruder und den zwei Kindern im Armenviertel ‹Mi Casita›. Der Raum zum Leben ist eng, neben Küche und Bad gibt es ein einziges Zimmer.

«Dass Sarai und Ximena – und auch ich – von Presencia unterstützt werden, entlastet mich enorm.»

Zwar grassiert in ‹Mi Casita› die Drogenkriminalität, dennoch leben die Menschen hier ‹sicherer› als in der ‹Communa 13›, wo Alejandra 1987 geboren wurde. Die ‹Communa 13› gehört zu den berüchtigsten Armenviertel Medellíns. Armut, Gewalt und Erdrutschgefahr prägen den Alltag der Menschen.

«Meine Eltern waren in der Hoffnung auf ein besseres Leben vom Land in die Stadt gezogen. In der ‹Communa 13› hatten sie sich ein Häuschen gezimmert. Der Fussboden bestand aus gestampftem Lehm, eine Türe gab es nicht. Wenn es regnete, wälzten sich Schlammlawinen durch die Strassen und der Boden gab nach. Vater und Mutter lebten in ständiger Angst, alles zu verlieren, sogar ihr Leben.»

Dass sie gegen Ende der 1980-er Jahre an einen topografisch sicheren Ort umziehen können, ist der Initiative der bedrohten Familien zu verdanken, die auf der Suche nach Unterstützung auf einen hilfsbereiten Priester treffen. Dieser kauft ein Stück Land und leitet die ärmsten Familien der ‹Communa 13› an, gemeinsam ihre neuen Häuser zu bauen. So finden 60 Familien eine neue Heimat und geben ihr den Namen ‹Mi Casita›. Alejandra ist sechs Monate alt, als das neue Heim bezogen wird, in welchem sie heute lebt.

Der Boden ist jetzt sicher, die Armut jedoch nach wie vor gross. Alejandras Familie muss Geld verdienen und versucht es mit Abfallverwertung.

Überleben dank Glas, Papier und Plastik

«Es war meine Mutter, die vor vielen Jahren damit begann. Mein Bruder half ihr. Heute arbeiten drei Generationen mit: Mutter, die das ‹Familienunternehmen› leitet, mein Bruder, meine Kinder und ich. Mein Vater war am Anfang auch dabei. Heute ist er krank und kann nicht mehr mitarbeiten.

Jeden Tag gehen wir in Siedlungen am Stadtrand, wo wir in den Abfallsäcken brauchbares Material suchen, das verkauft werden kann. Um die grösstmögliche Menge einsammeln zu können, richten wir unsere Arbeitsorte und -zeiten nach dem Fahrplan der Müllabfuhr. Meist stehen wir um vier Uhr in der Früh auf. Wir müssen zügig vorwärtskommen, damit wir fertig sind, bevor um sieben Uhr die Müllabfuhr kommt. Manchmal arbeiten wir auch nachts. Das Material schaffen wir nachhause, wo wir es trennen – in die Kategorien Glas, Papier, Plastik und andere mehr.»

Es ist eine schwere Arbeit, die nicht viel einbringt. Pro Monat etwas mehr als hundert Schweizer Franken. Zusammen mit Alejandras Einkommen reicht das gerade mal zum Überleben der Familie. Alejandra, als alleinerziehende Mutter, muss stets dazuverdienen, um die Kinder zu versorgen.

Alejandra hievt zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Vater einen riesigen, zugeschnürten Sack mit Kunststoff auf einen Berg bereits vorhandener Säcke. Der Sack hat ungefähr das Volumen von einem Kubikmeter.
Die Eltern von Aljeandra bei der Arbeit. Foto: Stiftung Presencia.

«Die Bedürfnisse meiner Familie und meine Verpflichtungen gegenüber den Kindern erlauben es mir bis heute nicht, mich ausbilden zu lassen.

Immerhin klappte es in der Liebe: Ich war 16, als ich Jorge kennenlernte. Er war zwei Jahre älter und ein grosses Glück für mich. Jorge war fleissig – neben der Arbeit holte er seinen Schulabschluss nach – gelassen und verantwortungsbewusst. Jorge respektierte und unterstützte mich und war besorgt um mein Wohlergehen.»

Alejandra und Jorge sind sechs Jahre zusammen, als sie heiraten. Ein Jahr später kommt Sarai zur Welt. Die junge Familie wohnt im Haus von Alejandras Eltern, da sie sich einen eigenen Hausstand nicht leisten kann. Alejandra ist glücklich. Sie hat einen Mann, der sich nicht nur um die leibliche Tochter, sondern auch um Jaider und Ximena kümmert und alle drei Kinder mit ihr zusammen grossziehen will.

Das Glück ist von kurzer Dauer. Vier Monate nach Sarais Geburt ist ihr Vater tot.

«Jorge wurde erschossen, in einem Streit um Geld. Mein ganzes Leben fiel auf einen Schlag zusammen. Ich hatte zahllose Fragen, fühlte Schmerz und Wut. Lange Zeit konnte nichts meine ungeheure Traurigkeit lindern. Ich wurde alleingelassen und Sarai würde ihren Vater nie kennenlernen. Der Täter wurde nie gefasst. Polizei und Justiz interessieren sich nicht für Gewalttaten im Armenviertel. Als ich nach einer Weile herausfand, wer der Mörder war, habe ich ihn nicht angezeigt. Aus Angst, dass man auch mir etwas antun würde.»

Seither ist Alejandra erneut allein für die Kinder verantwortlich, mittlerweile sind es drei. Oft stösst sie an ihre Grenzen. Als alleinerziehende Mutter muss sie die Kinder nicht nur selber durchbringen, sondern ihnen auch Vater und Mutter zugleich sein. Sie fühlt sich oft einsam und alleingelassen. Es fehlt ihr ein Partner, ein Gefährte.

«Ein Mann, der nicht nur mich liebt, sondern auch meine Kinder. Einer, mit dem ich über alles reden kann, vor allem, wenn ich Schwierigkeiten habe oder mich über Erfolge freuen kann. Und der mir bei den Problemen, Fragen und Bedürfnissen meiner Kinder zur Seite steht. Die kleine Sarai fragt mich fast täglich nach ihrem Vater. Das konfrontiert und erschüttert mich jedes Mal. Sarai ist auch sehr langsam und verträumt. In der Schule, am Tisch, bei den Hausaufgaben … für alles benötigt sie viel Zeit. Ausser Haus ist sie schüchtern. Sarai scheut den Umgang mit Gleichaltrigen und will lieber alleine sein.»

Eine Familie, zahlreiche Herausforderungen

Dazu kommt ihre Eifersucht auf Ximena – Sarai sieht in ihrer grossen Schwester eine Rivalin und glaubt, als Mamas leibliche Tochter mehr Rechte zu haben – und die Gesundheit der Kleinen: Alejandra braucht viel Kraft und Überzeugungskunst, Sarai zum Essen zu ermuntern:

«Sarai hat keinen Appetit. Unentwegt droht ihr Mangelernährung. Ich mache mir Sorgen, dass sie sich so nicht gesund entwickeln kann.
Auch Ximena hat es nicht leicht. Sie ist widerspenstig, lässt sich nichts sagen und respektiert keine Regeln. Andererseits ist sie unsicher, gibt auf Fragen unklare Antworten, weicht aus. Das Mädchen schämt sich seiner Herkunft und vor allem für ihren Vater.»

Ximena gibt sich mit Männern ab, die etliche Jahre älter sind als sie. Damit sucht sie Bestätigung und einen Ersatz für die fehlende Vaterfigur. Ihr Verhalten birgt ein Risiko, als Teenager schwanger zu werden. Ihr Bruder Jaider hat die Familie mittlerweile verlassen. Er hat die Schule abgebrochen, wohnt unter widrigen Umständen bei seinem Vater, verbringt den ganzen Tag mit schlechten Freunden auf der Strasse und konsumiert Drogen. Alejandra grämt sich sehr:

«All meine Liebe für Jaider hat nichts gefruchtet. Meine Bemühungen, ihm einen anderen Lebensweg aufzuzeigen, und die Unterstützung von mir und meinen Eltern konnten ihn nicht davon abhalten, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten. Jaider abgleiten zu sehen, tut mir als Mutter sehr weh.
Dass Sarai und Ximena – und auch ich – von Presencia unterstützt und begleitet werden, entlastet mich enorm. Ich bin froh, dass es in unserem Armenviertel ‹Mi Casita› einen Presencia-Standort gibt, wo wir immer willkommen sind und ein offenes Ohr finden. Sarai und Ximena werden dank Presencia die Schule abschliessen und eine Ausbildung absolvieren, da bin ich sicher. Als gute Berufsleute werden meine Töchter nicht nur ihr Leben verdienen, sondern sich auch ihre Träume erfüllen können.»

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